Die Verknöpften

Andrea Behnke erzählt in ihrem neuesten Buch “die Verknöpften” die Geschichte der vier Freunde Liselotte, Minna, Leon und Hildegard in der Zeit von September 1938 bis Januar 1939.

Die Autorin schafft es dabei auf sehr einfühlsame und sicher für jeden verständliche Art einen Einblick in die Gefühlswelt von Liselotte zu geben, deren Welt immer mehr aus den Fugen gerät, die immer mehr Freunde verliert und immer weniger verstehen kann, was um sie herum und mit den Menschen um sie geschieht.
Von der plötzlichen Unmöglichkeit, die Freundschaft zu ihrer nichtjüdischen Freundin weiter zu pflegen, bis hin zur Pogromnacht am 9. November 1938 und dem anschließenden Weggehen ihrer beiden verbleibenden jüdischen Freunde. Alles ändert sich. Auch innerhalb ihrer Familie. Ihr Vater, der seit der Nacht des 9. November nicht mehr der gleiche zu sein scheint und ihre Mutter, die Liselotte plötzlich nicht mehr alles sagt. Geheimnisse hat. Wer Kinder hat, versteht, warum sie das tut.

Wir betrachten die Geschichte aus der Retrospektive. Wir wissen was kommen wird. Spüren das Damoklesschwert und die sich mit großen Schritten nähernde Katastrophe.
Die Frage ist nicht, was passieren wird. Die Frage ist; schaffen sie es?

Gerahmt wird die Geschichte durch den Prolog und das letzte Kapitel, die beide aus Sicht der von Else Hirsch inspirierten Lehrerin Fräulein Hirschberg erzählt werden.

Es gab viele Liselottes.

Das Buch endet voller Fragen. Was geschieht mit Liselotte und ihrer Familie? Schafft es die Familie von Minna nach Amerika? Wie ergeht es Leon bei den Briten? Was wird aus Leons Oma?

Im Gegensatz zu den Ereignissen der Geschichte sind die Illustrationen von Inbal Leitner im Buch leicht und fast schon sanft, dabei aber nicht weniger berührend. Sie geben den Kindern ein Gesicht und lassen den Fokus dort. Auf den Kindern.

Ich lese viele Kinderbücher. Geweint habe ich bisher nie. Es ist ein Buch, das ein schwieriges Thema aufgreift und es dabei schafft, greifbar zu sein. Ich habe das Buch meiner Tochter vorgelesen und es auch nur für mich gelesen. Es ist ein anderes Lesen, wenn ich es nur für mich tue und dabei meine Gedanken und Gefühle mein sein lassen kann.

Auf den letzten Seiten erzählt das Buch die wahre Geschichte einiger Menschen, die als Vorlage für die im Buch vorkommenden Figuren dienten.

Als ich anfing, diesen Artikel zu schreiben, habe ich mich auf die suche nach einem Foto von Else Hirsch gemacht. Sie gehört an meine Wand großer jüdischer Frauen über einem der Regale in meiner Leseecke. Dabei stieß ich auf die Wikipedia-Seite zu ihr. Sie organisierte 10 Kindertransporte in die Niederlande und England. Nachdem Sie nach Riga ins Ghetto verschleppt wurde, versuchte Sie auch dort ihr Bestes zu tun, unterrichtete Kinder und kümmerte sich um Essen für die Alten und Schwachen.

Es ist nicht klar wann, und wie sie starb.

Die Verknöpften ist ein Buch, dass für mich wirklich eine Perle ist, und das ich jedem Elternteil empfehlen würde, dessen Kind(er) sich für dieses Thema interessiert. Die Autorin schafft es, die Geschichte so zu erzählen, dass sie auch für Kinder greifbar wird. Es gibt keine Abstrakten politischen Begriffe, deren Verständnis notwendig ist um zu verstehen. Es geht um Liselotte und was sie erlebt, und sie erlebt wie ein kleines Mädchen. Nicht wie ein Geschichtsbuch oder politische Theoretiker.


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